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Erhard Eppler - Auslaufmodell Staat?

"Während die große Gefahr des 20. Jahrhunderts der übermächtige, totale Staat war, ist die große Gefahr des 21. Jahrhunderts der ohnmächtige, erpressbare, zerfallende Staat". Diese These formulierte Erhard Eppler, der oft als Vordenker der SPD tituliert wird, zu Beginn seines Vortrages. Viele Interessierte waren in das Adolf-Bender-Zentrum gekommen, um die Gedanken Epplers zu hören und mit ihm zu diskutieren. Thema des zweiten St. Wendeler Gesprächs in diesem Jahr war die Frage: Ist der Staat ein Auslaufmodell?

Weltweite Erosion von Staaten

Wir in Deutschland könnten uns eine Welt ohne Staat nicht vorstellen, sagte Eppler. "In Afrika ist das an einigen Stellen Wirklichkeit." Als Beispiel nannte er den Kongo, wo Warlords mit Waffen das Recht des Stärkeren durchsetzten und das Gewaltmonopol des Staates keine Rolle mehr spielte. "Wo sich die Gewalt privatisiert, da kommt der Staat an sein Ende", formulierte Eppler eine Formel des staatlichen Zerfalls. Dieser sei kein regionales afrikanisches Phänomen, sondern die Erosion von Staaten finde weltweit statt. So lebten in den USA mehr Menschen in von Sicherheitskräften abgeschotteten Wohngebieten als sein Heimatland Baden-Württemberg Einwohner habe, um sich vor zunehmender Kriminalität zu schützen.

Globale und europäische Lösungen als Ausweg

"Was wird aus einem Staat, in dem die Sicherheit zu einer Ware wird, die sich nur die Reichen leisten können?", fragte Eppler. Am Ende der Entwicklung könne der Marktstaat stehen, ein Begriff, den der amerikanische Ökonom und Historiker Philip Bobbitt geprägt hat. "Im Marktstaat ist der Staat nur noch dafür zuständig, dass die Märkte funktionieren", erklärte Eppler, sei es nun der Sicherheits-, Arbeits- oder Bildungsmarkt. Dabei ebne das ökonomische Denken den Weg Richtung Marktstaat, wobei das Leitbild des Homo oeconomicus` den Menschen nicht in seiner Komplexität erfasse. Faktisch könnten die globalen Finanzströme die Nationalstaaten unter einen enormen Handlungsdruck setzen, dessen Folge die Degradierung von Staaten zu ökonomischen, erpressbaren Standorten sei. Worin besteht die Lösung? Epplers Antwort: "Nur globale oder europäische Regelungen helfen hier weiter. Für mich ist die wichtigste politische Frage in der nächsten Zeit: Was für ein Europa wollen wir?" Indem weitere Kompetenzen nach Brüssel verlagert werden, könne die Handlungsfähigkeit der Nationalstaaten wieder wachsen. "Ich weiß, das ist unendlich mühsam", räumte der Sozialdemokrat ein. Zudem sprach sich Eppler gegen den Trend der Privatisierung aus. "Meine Begeisterung war begrenzt", sagte Eppler zum jüngsten Papier der SPD-Programmkommission. So forderte der Elder Statesman ein "solides Staatskapitel".

"Gegen Beliebigkeit"

Viel Applaus erntete Eppler für seinen Vortrag von den Zuhörern. Nach einer Lesung Epplers begann die Diskussion. Themen waren unter anderem die Bildungspolitik, Europa sowie die Privatisierung. "Es war wichtig, dass wir mit Erhard Eppler einen Menschen hier hatten, der über viel Erfahrung verfügt und der Werte hat", sagte der Vorsitzende des Adolf-Bender-Zentrums, Armin Lang (MdL), zum Abschluss. "Das ist der Sinn unserer Veranstaltungsreihe: gegen Beliebigkeit."


Info
Erhard Eppler wurde am 9. Dezember 1926 in Ulm geboren. Er war von 1968 bis 1974 Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Von 1970 bis 1991 gehörte Eppler dem Bundesvorstand der SPD an, die Grundwertekommission der Sozialdemokraten leitete er von 1973 bis 1992. Er war maßgeblich beteiligt an der Formulierung des "Berliner Programms" der SPD aus dem Jahr 1989. Sein 2005 erschienenes Buch "Auslaufmodell Staat?", aus dem Eppler im Adolf-Bender-Zentrum gelesen hat, wurde von der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung mit dem Preis "Das politische Buch 2006" ausgezeichnet. Der Band ist 2005 im Suhrkamp Verlag erschienen (ISBN: 3518124625).


(Der Artikel von Heiner Micansky ist in redigierter Fassung im November 2006 in der Saarbrücker Zeitung publiziert worden.)